1. Feierlichkeiten, Überraschungen und das Leben
     Jahr 1999


Ich sitze wieder einmal vor meinem Computer, kann nicht schlafen, was mir übrigens sehr oft so geht. Aber er ist mein treuer Begleiter geworden, dem ich alles mitteilen kann, meine Termine zum Beispiel, er ist mein Helfer, indem er Briefe schreibt und druckt. Er kann faxen, e–mailen und mich mit der Welt verbinden. Er zeigt mir die weite Welt, in Gestalt der Flugsimulation als Pilot für virtuelle Airlines.
Es geht eigentlich nur um paar Jahre meines Lebens, aber es ging um alles, beginnen will ich mit meinem 50. Geburtstag. Ach was haben alle meine Geburtstagsgäste sich gefreut, mit mir zu feiern. Ich wusste gar nicht, dass ich so viele ›Freunde‹ habe, später blieben nur eine Handvoll Menschen übrig. Damals wusste ich nicht, wer von den ca. 40 Gästen (meine Verwandtschaft natürlich ausgenommen) ein wirklicher Freund war. Es war eigentlich eine recht angenehme Feier. Ich fühlte mich aber körperlich nicht so richtig wohl, schwach und verlor immer mehr an Gewicht.
Das Verhältnis zwischen meiner Frau und mir wurde trotz unseres Umzuges immer kälter. Wir sind aufgrund der Tätigkeit meiner Frau, näher an ihre Arbeitsstelle gezogen, mir war es eigentlich egal. Ich war selbstständiger Taxifahrer und hatte eigentlich angenommen, dass sich unser Verhältnis vielleicht auch durch den Umzug verbessert. Mitten im Jahr 1999 hat sie mir mitgeteilt, dass sie sich scheiden lässt. Ich wollte es nicht war haben, aber am nächsten Tag lag das Schriftstück von ihrer Rechtsanwältin schon auf dem Tisch. Da meine Frau sich entschieden hatte, half auch kein Reden mehr und ein Tag später waren dann schon die Leute da, die den so genannten getrennten Haushalt einrichteten. Darunter auch solche ›Freunde‹ aus dem Kreise meiner Geburtstagsgäste. Ich kam zufällig dazu, als ich nach den ersten Fahrten noch einmal nach Hause bin und traute meinen Augen nicht, meine Sachen wurden alle in unsere ehemaliges Schlafzimmer geräumt. Ich glaube ihr neuer ›Lover‹ war auch dabei, dreister geht es wohl nicht. Ich blieb ruhig, obwohl ich innerlich kochte. Die Wohnung verließ ich sofort wieder und überlegte kurz, ob ich gleich an einen Baum fahre, oder später, zum Glück habe ich mich besonnen.
Als ich am Abend nach Hause kam, sah ich das Chaos, es lag alles im Zimmer auf einem Haufen, natürlich gab es einen Disput, aber kein lautstarker, als ich fragte, ob sie einen neuen Mann hat, bekam ich zu Antwort: Nein, mit der Frage, ob dadurch die Scheidung für mich leichter wäre!
Sicherlich hat jeder für die Scheidung Ursachen gesetzt, man hätte vielleicht über vieles reden können und müssen, aber so nach und nach gingen wir eigene Wege. Dazu kam noch der Beruf (Beamtin und Taxifahrer), es war schwierig, schon zeitmäßig eine Lösung zu finden.
Meine wirtschaftliche Lage war überaus schlecht, ich hätte eigentlich 24–Stunden fahren müssen, das beste Geschäft war abends und am Wochenende. Dabei musste etwas auf der ›Strecke‹ bleiben. Gemeinsame Kinder hatten wir nicht. Es verlief auch alles relativ ruhig, bis auf ein paar unsachliche Ausrutscher meiner Frau, ihr Jähzorn war mir ja über all die Jahre hinweg vertraut geworden.
Vielleicht war sie sauer, dass ich nicht gleich untergegangen bin, oder dass ich mir keine neue Wohnung gesucht habe, aber ich dachte an die Mühen der Renovierung, die ich fast alleine gemacht habe, anschließend ging es dann noch auf den ›Gummi‹ ; also auf das Taxi. Das war meine Faulheit die sie mir bis zum jüngsten Tag vorgehalten hat, außerdem wollte sie ja die Scheidung. Den irrsinnigen Vorschlag im Schreiben ihrer Rechtsanwältin, ich könnte in den Sommermonaten auf meinen Erholungsgrundstück ziehen und dort vorübergehend wohnen, kam natürlich nicht in Frage, erstens war es nicht mein Grundstück und zweitens habe ich vor vielen Jahren schon einmal einen solchen Fehler gemacht. Ich glaube je ruhiger ich wurde, umso mehr Gemeinheiten ließ sich einfallen. So trat sie des Öfteren, bevor sie zur Arbeit ging, gegen die Tür meines Zimmers, der Wohn –, Schlaf – und Bürokombination, unser ehemaliges Schlafzimmer. Sie wusste ja, dass ich noch schlief, weil ich erst spät in der Nacht oder früh am Morgen nach Hause gekommen bin. In dem Zusammenhang fielen auch solche Äußerungen wie: ›Blödes Schwein‹ und zum Abschluss wurde die Wohnungstür mit aller Wucht ins Schloss geworfen. Manchmal stellte sie auch das Wasser im Bad ab, um mich zu ärgern.
Ich war über die Scheidung sehr traurig und habe sie mehrfach versucht umzustimmen. Als ich aber merkte, dass ich mich zum ›August‹ machte habe ich damit aufgehört. Meine Frau war dann schon im Oktober des Jahres nicht mehr in der Wohnung und ich konnte mich ziemlich frei bewegen. Es war mir ja egal, wo sie war, aber eigentlich war es mir nicht egal. Angeblich schlief sie bei ihrer Schwester auf der Luftmatratze, ganz blöd bin ich nun auch nicht. Einen Schüssel hatte sie aber noch von der Wohnung und deshalb war ein plötzliches Auftauchen immer möglich.
Mein Leben bestimmte fortan nur noch das Taxifahren. Denn ich musste meine Existenz sichern. Als ich alle Ausgaben und Kosten ausgerechnet hatte, glaubte ich nicht daran es zu schaffen. Die Existenzangst begleitete mich jeden Tag von Neuem. Da keimten in mir manchmal sehr seltsame Gedanken!
Ich musste, um eine Summe zu nennen, im Monat ca. 2500 DM aufbringen um nicht unter der Brücke schlafen zu müssen und was am Schlimmsten war, ich hatte im Einvernehmen mit meiner Frau, die gesetzliche Rentenversicherung gekündigt. Mir war schon damals nicht wohl dabei, aber es gibt Fehler die nicht rückgängig zu machen sind. Solche Fehler macht man nur einmal und bekommt irgendwann die Quittung. Ein weiteres Problem musste ich noch mit meiner Krankenversicherung klären, die war nämlich ohne Krankentagegeld, ich änderte die Versicherung, nun bekam ich ab dem 43. Tag Krankentagegeld. Als ob ich schon etwas geahnt habe.
Es ist kein leeres Gerede, wenn behauptet wird, selbstständige Taxifahrer sind teilweise nicht in der Lage sich so zu versichern, um nicht bei Krankheit oder Trennung zum Sozialfall zu werden, noch ahnte ich nicht, was mir widerfahren wird. Nach einigen Monaten merkte ich, dass ich ganz gut zu Recht kam. Ich war mein eigener Herr und bekam nicht die ›freundlichen‹ Worte meiner Frau: » Warst du wieder bei deiner Freundin! «, oder andere Gemeinheiten, zu hören, wenn ich nach Hause kam. Ich fuhr nur noch nachts und an den Wochenenden, 12–15 Stunden oder bis es wieder hell wurde, es war sogar noch ›eine Mark‹ für Bier und Zigaretten übrig, die mir den Feierabend verschönerten. Ich dachte aber trotzdem oft an meine Frau, wir waren immerhin fast 10 Jahre verheiratet und hatten doch die ersten Jahre nach der Wende gut überstanden, wie konnten sogar in den Urlaub fahren. Ich wollte damals für unsere Hochzeit im Jahre 1991 was ganz Besonderes und habe eine Heirat in Dänemark organisiert, aber auch das hat nichts genutzt.
Der Wechsel ins neue Jahrhundert rückte langsam in greifbare Nähe. Es war für mich albtraumhaft, diesen alleine zu verbringen. In den vergangenen Jahren wäre mir nie in den Sinn gekommen, das erleben zu müssen, dass ich selber einmal zu den Einsamen gehört, war für mich vor Jahren unvorstellbar. Weihnachten, das erste ohne Frau verbrachte ich bei meinen Eltern und Geschwistern. So richtig glücklich war ich aber dabei nicht, zumal es meinem Vater, aufgrund seiner Krebserkrankung nicht wirklich gut ging. Nach meinem Geburtstag, der zwischen Weihnachten und Silvester liegt, bin ich wieder nach Berlin gefahren.
Dann kam die Nacht der Nächte, ich bin damals das erste und letzte Mal in meinem Leben über den Jahreswechsel als Taxifahrer unterwegs gewesen. Im Radio die Schlager des Jahrhunderts und auch Zeit zum Nachdenken übers Leben. Zum Jahreswechsel war ich mit mir und dem Lied ›Morning has broken‹ auf der Stadtautobahn allein unterwegs. Zurückblickend war es eigentlich eine schöne Nacht. Die Menschen waren froh ein Taxi zu bekommen, glücklich und zufrieden. Um 6.00 Uhr war für mich Feierabend. Die Frage wo und mit wem feiert meine Frau kam öfters, als mir recht war in den Sinn. Dann gab es doch noch eine Überraschung. Ich hatte mir natürlich eine Flasche Sekt kalt gestellt um das neue Jahr zu begrüßen und die Einnahmen zu zählen. So viel Geld hatte ich manchmal nicht in einer Woche. Ich war stolz auf mich, eine ›Kasse‹ von 670 DM plus Trinkgeld und es überkam mich schon eine Freude, aber leider keiner da mit dem man diese hätte teilen könnte. Es rief auch keiner an von den damaligen Geburtstagsgästen, obwohl ich mich schon manchmal mit jemand unterhalten hätte. Das wird auch später so bleiben, bis auf meine Verwandtschaft und eine einzige Ausnahme, mein noch Schwager mit Familie. Da spricht man eben mit sich selbst, geht auch und man kommt sich nicht einmal blöd vor dabei.
Meine Frau ist dann im Januar 2000 aus der Wohnung ausgezogen, ich war nicht anwesend, wollte das Drama nicht persönlich miterleben, somit weiß ich auch nicht wer geholfen hat, ob es die gleichen Menschen waren, die uns beim Einzug geholfen haben, einer war jedenfalls nicht dabei, mein noch Schwager. Mir kam es recht merkwürdig vor, dass der Auszug so schnell ging, nun war es endgültig und schon ein komisches Gefühl.
Einen Rechtsanwalt musste ich mir inzwischen auch nehmen, denn ohne ihn geht keine Scheidung. Dafür hatte ich überhaupt keine Zeit, kein Geld und es kotzte mich regelrecht an.
Gesundheitlich wollte es mir aber nicht so richtig gut gehen. Ich nahm immer mehr ab und hatte Probleme mit dem Stuhlgang, häufig Durchfall, dem Blut beigemischt war. Ich war mir ganz sicher es kommt von den Hämorriden, wie man später feststellen wird habe ich gar keine. Das Problem mit dem Krankengeld ab dem 43. Tag wurde mir zu heiß, also schloss ich nochmals eine neue Versicherung ab, bei der ich nach 15 Tagen Krankheit Geld bekam. Wieder höhere Kosten, denn die Versicherung ist natürlich teurer.
Ich wollte mir ein kleines Kapital erwirtschaften, denn ich hatte keinerlei Rücklagen, musste noch die Leasingrate für das Auto bezahlen und nun auch die gesamte Miete, es ging gerade so. Ich hatte im Notfall noch meine Eltern im Rücken, die mir und auch meiner Frau schon mehrfach geholfen haben. Bei der Rückzahlung immer großzügig waren, sie wird es wissen, denn ihr Auto wären ohne meine Eltern nicht möglich gewesen.
Blöderweise hatte ich im Februar noch einen Unfall an dem ich Schuld war, vielleicht belastet mich die Scheidung doch, mein Auto war aber nur leicht lädiert, sodass ich weiter fahren konnte, das hätte mir noch gefehlt.
Ich quälte mich noch einige Monate, aber dann beschloss ich im Mai 2000 zum Arzt zu gehen. In dieser Zeit gab es auch noch ein Kuriosum, ich besorgte mir über die Krankenkasse meiner Tante, den Auftrag, sie zur täglichen Bestrahlung in das Auguste Viktoria Krankenhaus zu fahren. Ein guter Auftrag, der auch noch bis in die Krankschreibung von mir ausgeführt wurde, die restlichen Fahrten musste dann ein anderer Taxifahrer übernehmen. In dieser Zeit habe ich über die Strahlentherapie überhaupt nicht nachgedacht, sah nur wie meine Tante litt.

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