2. Diagnosen, Krebs und die Verzweiflung
     Jahr 1999 und 2000


Mein Hausarzt, ein guter Bekannter, weil ich bei Eröffnung seiner Praxis, nach der Wende, einer seiner ersten Stammpatienten war und wir im selben Alter sind. In guten Zeiten haben wir auch schon mal ein Bier zusammen getrunken. In seiner Sprechstunde geht es ganz locker zu und wir sind per Du.
Als ich eintrat war er gleich über meine körperliche Verfassung schockiert. Er wusste auch dass sich meine Frau scheiden lassen will. Ihr fiel wohl dort beim Arzt kein besserer Grund ein als, ›Er trinkt, der Taxifahrer trinkt‹ . Was mein Doktor, trotz guter Freundschaft nicht tolerierte. Also, erst einmal Blut abnehmen und am nächsten Tag wiederkommen. Eine Überweisung zum Thoraxröntgen stellte er mir ebenfalls aus. Krank geschrieben hat er mich lt. Krankenschein wegen starker Gewichtsabnahme, innerhalb von 2 Jahren von 90 auf 70 kg. Nun gingen die Rennereien los, da war nichts mit gemütlich krankmachen und ausruhen. Es wäre auch seit 10 Jahren das erste Mal, verdient hätte ich mich eigentlich, aber bei den Selbstständigen ist es eben anders als bei den Beamten!
Den nächsten Tag wieder zum Doktor, der mich mit freundlichem Blick empfing, das konnte erst einmal nichts schlechtes heißen. Also, deine Blutwerte, hauptsächlich deine Leberwerte sind in Ordnung. Also, kein Trinker, sondern schlechte Ausrede für die Trennung. Aber nun kam er mit dem Diabetes heraus, eine neue Überweisung und los ging es. Arzt suchen und Termin holen. Mittlerweile war ich beim Röntgen und der Befund war negativ, darüber war mein Arzt echt froh, denn er dachte ich habe Lungenkrebs und weiter ging es zum Urologen, da war auch alles in Ordnung. Ja der Magen sollte auch noch angesehen werden, aber von innen, also, Termin geholt und hin. Ich hatte zwar schon davon gehört und es wurde unangenehme Geschichten darüber erzählt. Ich bekam vorher eine Faustan als Beruhigungstablette, man muss nur die Ruhe bewahren. Der Schlauch geht schon runter, die Ärztin arbeitete routiniert, es gab keine Feststellungen und schlimm war es auch nicht.
Inzwischen war ich bei meiner Diabetologin und wurde als Patient mit Diabetes Typ II a (tablettenpflichtig) eingestuft. Im Hinterkopf hatte ich sofort, dass man, wenn man sich spritzen muss, keine Personen mehr befördern darf und ich machte mir schon wieder Sorgen um was, das noch gar nicht aktuell war, aber so bin ich nun einmal. Na gut. Wir fingen erst einmal mit kleiner Dosis an, zum Essen dreimal täglich eine Tablette Novo Norm 1mg, Wiedervorstellung in 14 Tagen. Die Ärztin machte mir einen sehr gründlichen Eindruck, was auch die langen Wartezeiten begründete. Sie ist sympathisch und nahbar, für mich sehr wichtig, ich stand ja erst am Anfang der langen Kette von Arztbesuchen.
Für den Doktor war mein Problem eigentlich geklärt und dann sagte ich ihm zögerlich, dass ich manchmal Blut im Stuhl habe, aber nur sehr wenig und auch Durchfall. Ich erzähle ihm nicht dass ich hin und wieder vom Halteplatz von der ersten Stelle leer davon fahren musste, weil das Taxi sonst ›voll‹ gewesen währe. Ich erzählte auch nicht, dass ich schon einmal mir die Hosen zubinden musste um aus dem Auto auszusteigen und ich erzählte ihm auch nicht, dass schon die Putzfrauen aus der Toilette von mir verwiesen wurden.
Da der Urologe keine Hämorriden festgestellt hat, habe ich es ihm gesagt und mir wurde schon langsam etwas mulmig zumute. Ich fragte deshalb meinen Doktor, wie denn das ist bei so einer Untersuchung, der Darmspiegelung. Die Antwort war knapp: »Genauso wie beim Magen, nur von hinten«. Er hat wahrscheinlich auch noch keine Koloskopie machen lassen. Also, wieder Arzt suchen, Termin holen und hingehen. Das Schlimmste waren, die 3 bis 4 Liter, von diesem immer scheußlicher schmeckenden Zeug zu trinken um den Darm zu reinigen.
Ende Juni 2000, an einem Mittwoch war der Termin für die Koloskopie, mit einem unguten Gefühl bin ich hin, irgendetwas muss sein, vom Darmkrebs habe ich schon gehört, nie etwas Gutes. Der Doktor hat bestürzt, gleich wieder aufgehört, es war also gar keine richtige Darmspiegelung. Als ich ihn fragte, was ist, sagte er es gäbe im Darm, schon stark blutende Tumoren. Ich sollte mich bei meinem Arzt melden. Ich hatte aber erst am Freitag einen Termin, so verbissen habe ich das damals gar nicht gesehen. Meine Cousine holte mich ab und nahm mich mit nach Königs Wusterhausen. Ich glaube es war gut so. Den Befund hatte ich bei mir, später am Nachmittag fuhr sie mich in die Wohnung.
Im Briefkasten lag die Mitteilung meiner Krankenkasse, ab Montag sei ich wieder arbeitsfähig, mit dem Doktor hätte man schon gesprochen. Also, alles o.k., es gibt schon manchmal komische Überschneidungen im Leben, ja schon fast pietätlose.
Am Mittwochabend klingelt das Handy bei mir, der Hausarzt, in heller Aufregung, der Arzt hatte ihn informiert, ich sollte am nächsten Tag sofort in seine Sprechstunde kommen. Die Telefonnummer besorgte er sich von meiner Frau, einen Festnetzanschluss hatte ich damals nicht.
Mir war immer noch nicht ganz bewusst was los ist, aber er sagte es mir: »Henry, du hast vermutlich Darmkrebs!« Ich nahm immer an, die Proben werden erst zur Untersuchung eingeschickt und das Ergebnis dauert. Der Doktor hatte, wenn ich es richtig mitbekommen habe, gar keine Biopsie gemacht. »Henry, du musst sofort operiert werden, dein Leben hängt am seiden Faden!«
Das war mir nun gar nicht recht, es gab noch eine Menge klären. Die Statistik sagt zum Darmkrebs auch nichts Gutes aus, von 50.000 Erkrankungen, sterben 30.000. Übers Sterben habe ich mir ja bis jetzt noch gar keine Gedanken gemacht.
Der Doktor hatte sich schon mit dem Krankenhaus Lichtenberg (Oskar – Ziethen – Krankenhaus) in Verbindung gesetzt, aber noch keine Zusage erhalten. Nun das ging mir nun wirklich viel zu schnell. Ich fuhr wieder nach Hause, denn mein Doktor wollte mich anrufen, wenn es so weit ist. Noch schnell bei der Krankenkasse vorbei zu Bestätigung der Kostenübernahme für die Krankenhauseinweisung, um was man sich so alles kümmern muss, aber ohne Unterschriften geht in Deutschland nichts, egal wie krank man ist. Unterwegs rief mich meine Frau an und fragte was los ist. Ich habe es ihr gesagt, sie wünschte mir alles Gute, ich bedankte mich artig, ob es vom Herzen kam, ich weiß es nicht.
Am Freitag musste ich noch einmal zur Sprechstunde um die Befunde zu holen, der Termin für die Einweisung war Montag. Da wurde mir wieder bewusst, wie es ist, wenn man allein ist. Das Testament war schon geschrieben und in einem Computerprogramm mit dem treffenden Namen ›Mein Letzter Wille‹ , war vermerkt, was wichtig ist. Dort standen solche Dinge, wie, welche Zahlungen sind zu entrichten, welche Versicherungen sind vorhanden und gegebenenfalls zu kündigen. Es war nun, bis auf die Patientenverfügung, alles vorbereitet.
Für den Sonnabend war der Familienrat einberufen worden. Das Treffen fand in Königs Wusterhausen bei meiner Cousine statt. An diesen Treffen nahmen meine Eltern, meine Schwester und meine Zwillingstanten teil. Da meine Cousine am nächsten wohnte, ich ihr vertraute, wurde sie bevollmächtigt und die Patientenverfügung angefertigt. Mein Vater und meine beide Tanten waren zu diesem Zeitpunkt ebenfalls schon an Krebs erkrankt. Es war also nicht gerade eine fröhliche Zusammenkunft, dazu kommt noch, dass alle aus meiner Familie nicht gerade unsensibel sind. Mutter und meine Schwester Sonja sind mit zu mir gefahren, es wurde ein kleiner Abschied gefeiert, bei äußerst gedämpfter Stimmung. Am nächsten Tag brachte der Sohn meiner Cousine einen Sessel, denn die Sitzgarnitur hatte meine Frau mitgenommen, so brauchte ich nicht auf dem Stuhl beim Fernsehen sitzen. Mein Wohnzimmer strahlte zu dem Zeitpunkt überhaupt keine Gemütlichkeit aus, der Sessel, der auch als Schlafsessel nutzbar war, brachte etwas Wohnlichkeit hinein. Der anschließende Abschied in Königs Wusterhausen war kurz und traurig. Ein Tag blieb mir noch. Ich habe meinen Kollegen gebeten mich am Montag ins Krankenhaus zu fahren, was er auch gerne, unentgeltlich, getan hat. Dann war die Einsamkeit wieder da, kein Anruf, kein Gesprächspartner, das Leben war mir eigentlich egal, oder lag es an den Beruhigungstabletten.
Wie mir zumute war ist in meinem Abschiedsbrief zu lesen.

Abschiedsbrief vor meiner Operation vom 30.06.2000
Einen Tag vor meiner Einlieferung ins Krankenhaus, möchte ich noch ein paar Zeilen für die Nachwelt schreiben.
In solch einer Situation kommen ganz einfach solche Eingebungen.
Alle die mich Kennen und Mögen wissen , dass ich eigentlich ein stehst froher, gutmütiger und in der Regel liebenswürdiger Mensch gewesen bin.
Ich habe natürlich auch Fehler und andere Eigenarten gehabt, aber ich denke das Positive hat überwogen.
Mein ganzes Leben war durch erfolgreiche Arbeit geprägt, nur die letzten 10 Jahre nach der Wende, die Selbstständigkeit, hat mich psychisch und physisch an den Abgrund gebracht.
Leider hat es meine zukünftige Ex – Frau auch nicht verstanden mich diesbezüglich aufzubauen, sie wählte ein einfaches Mittel, die Scheidung, vielleicht war ich in meiner Beziehung zu tolerant. Die gesamten Lebensumstände sind mir wahrscheinlich auch zum Verhängnis für meine Gesundheit geworden. Ich habe es auch bis heute nicht verwunden, das diese Frau die Scheidung eingereicht hat. Wie kann ein Mensch nur so scheinheilig sein, so lange wie mein Geld floss, war ich für sie ›Mein Henry‹ der überall in den Himmel gehoben wurde.
Es gab in meinem Leben viele schöne Stunden; – Geburtstagsfeiern – Familienfeiern in Zeuthen – Familienfeiern in Dresden oder Auritz – Gemeinsame Urlaube mit meinen Eltern – und vieles anderes mehr.
Heut bin ich froh, dass ich mich mit meiner Verwandtschaft und besonders mit meinen Eltern nicht überworfen habe. Alle stehen mir in diesen Stunden bei und ich fühle mich nicht alleine gelassen.
Ich habe mich sehr gefreut, dass die Eltern und Schwester Sonja mich in dieser schweren Stunde noch einmal besucht haben, obwohl es bestimmt für alle (Tanten, Cousine) nicht einfach war.
Ich habe heut die kleine Flasche Sekt noch getrunken, natürlich auf das Wohl von Euch allen. Morgen ist es nun soweit. Ich hoffe ihr vergesst mich nicht und denkt an die schönen Stunden.
Ich möchte in Berlin keine Trauerfeier, meine Urne sollte nach Möglichkeit in Bautzen untergebracht werden.
In Erinnerung Henry


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